Eigentlich wollte Medizinstudentin Jessica Matyssek nur ihr Pflegepraktikum in Ghana machen. Als sie zurückkehrte, gründete sie einen Verein. Sie will die medizinische Versorgung vor Ort verbessern.
Als die Medizinstudentin Jessica Matyssek vor zwei Jahren zum ersten Mal in der Kasoa Polyclinic stand, ahnte sie noch nicht, dass das Krankenhaus im Süden Ghanas länger in ihrem Leben eine Rolle spielen würde als nur bis zum Ende ihres dreimonatigen Pflegepraktikums. Jetzt steht sie kurz vor ihrer zweiten, dieses Mal zweiwöchigen Reise nach Kasoa, einer schnell wachsenden Stadt rund 25 Kilometer westlich der Hauptstadt Accra. Dieses Mal fliegt die 26-Jährige nach Ghana, um Hilfsmittel zu überreichen, die sie mit ihrem in der Zwischenzeit gegründeten Verein Akwaaba e.V. gesammelt hat.
„Die Klinik ist ganz klein. Es gibt eine Männer-, eine Frauen- und eine Geburtsstation mit einer Handvoll Betten sowie eine Notaufnahme“, erzählt Jessica Matyssek von der Kasoa Polyclinic. Weil sie schon seit Langem von den „Ärzten ohne Grenzen“ begeistert ist, entscheidet sie sich, das Praktikum zu nutzen, um selbst erste medizinische Auslandserfahrung zu sammeln. Vor Ort versucht sie, zu verstehen, wie die Versorgung in dem fremden Land organisiert ist und unterstützt die Behandlungen so gut wie es ihr möglich ist. Weil sie zu diesem Zeitpunkt immerhin schon drei Jahre Studium und eine Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten hinter sich hat, trauen ihr die Ärzte viel zu. Schon die Voraussetzungen vor Ort lassen Jessica Matyssek aber immer wieder an ihre Grenzen stoßen. „Die Geräte, die es gibt, sind teils so veraltet, dass ich sie aus Deutschland gar nicht mehr kenne. Die Blutdruckmanschette zum Beispiel funktionierte noch mit einer Quecksilbersäule“, sagt die 26-Jährige. Die wenigen Metallbetten sind alt, darauf liegen abgenutzte Matratzen, das gesamte medizinische Equipment der Notaufnahme passt in ein kleines Regal. Fließendes Wasser gibt es nicht.
Ein Schlüsselerlebnis führt schließlich dazu, dass sich die Studentin aus Oldenburg dazu entscheidet, sich für bessere Bedingungen vor Ort einzusetzen „Ich habe erlebt, dass ein Mann, der so alt war wie mein Papa, im Wartezimmer gestorben ist. Die Schreie seiner Tochter habe ich noch heute im Ohr“, sagt Jessica Matyssek. Die Ärzte erklären ihr, dass sie auch dann nichts für den Mann hätten tun können, wenn er im Behandlungsraum statt im Wartezimmer zusammengebrochen wäre. „Einen Defibrillator und viele andere Geräte gibt es nicht und auch die Medikamente sind rar“, erklärt sie.
Mit einer Studentin aus Österreich, die damals ebenfalls ein Praktikum in der Kasoa Polyclinic absolviert, startet die Oldenburgerin noch vor Ort eine Crowdfunding-Aktion. Schnell kommen 3.000 Euro von Freunden und Verwandten in Europa zusammen, die aber nicht ausreichen, um einen Defibrillator in Ghana zu kaufen. Zurück in Deutschland gründet sie den Verein „Akwaaba e.V“. Akwaaba heißt auf Deutsch „Willkommen“. Dabei unterstützt sie William Tamele, ein Medizinstudent aus Hamburg, den Jessica Matyssek gut kennt, weil beide im Nebenjob gemeinsam Erste-Hilfe-Trainer*innen ausbilden.
Einen Defibrillator, einen Inkubator, ein Beatmungsgerät und Einmal-Materialien hat der inzwischen 25 Mitglieder starke Verein im August per Schiff auf die Reise nach Ghana geschickt. Im Januar will Matyssek die Spenden in Kasoa überreichen. „Ich möchte bei meinem Besuch außerdem einen Erste-Hilfe- und Präventionskurs anbieten“, erzählt Jessica Matyssek. Denn längst nicht allen Menschen nützen die modernen Geräte etwas. „Viele können sich die Versorgung gar nicht leisten“, berichtet die Studentin. Deshalb konzipiert sie mit ihrem Vereinskollegen gerade Kursinhalte, die auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort abgestimmt sind, und lässt sich dabei auch von Oldenburger Lehrenden aus der Medizin beraten.
Viel zu tun für die 26-Jährige – und das neben dem Medizinstudium. „Ich habe mir zwischendurch ein Jahr Pause für die Vereinsarbeit genommen“, erzählt sie. In spätestens zwei Jahren will sie aber alle Prüfungen absolviert haben und ins Praktische Jahr starten. Und vielleicht arbeitet sie danach irgendwann für die Organisation, die sie dazu inspiriert hat, möglichst früh medizinische Erfahrungen im Ausland zu sammeln und wird selbst „Ärztin ohne Grenzen“.