Mehr als 180 nordwestdeutsche Praxen helfen dabei, angehende Ärztinnen und Ärzte aus Oldenburg auszubilden. Eine ehemalige Studentin arbeitet heute in ihrer ehemaligen Lehrpraxis – und gibt ihr Wissen weiter.
Wer während des Medizinstudiums in der Gemeinschaftspraxis von Hausarzt Dr. Markus Ennen in Schortens ein Praktikum macht, findet sich manchmal am privaten Mittagstisch mit ihm, seiner ebenfalls als Ärztin in der Praxis arbeitenden Frau und den beiden Kindern des Ehepaars wieder. „Wir vermitteln auch das Leben drumherum“, sagt der 55-Jährige. So will er den Medizinstudierenden aus Oldenburg neben Fachwissen zum Beispiel auch mitgeben, dass sich Praxis und Familie gut unter einen Hut bringen lassen.
Ennens Gemeinschaftspraxis ist eine von gut 180 Praxen, in denen Medizinstudierende aus Oldenburg neben ihren Ausbildungsphasen in den Krankenhäusern mehrfach hospitieren. Das Lehrpraxen-Netzwerk erstreckt sich vom Emsland bis nach Lüneburg und vom Osnabrücker Land bis an die Nordseeküste. Studierende können sogar in drei Inselpraxen auf Norderney, Spiekeroog und Wangerooge Praktika absolvieren. Oft bieten die betreuenden Hausärztinnen und -ärzte ihnen auch Übernachtungsmöglichkeiten – oder, wie im Fall von Markus Ennen, sogar Familienanschluss.
Gelerntes sofort anwenden
Einmal im Jahr treffen sich die Praxisärztinnen und -ärzte zum Lehrärztetag an der Universität Oldenburg – nicht zuletzt, weil in diesem Rahmen auch Schulungen für neue und langjährige Netzwerkmitglieder gleichermaßen stattfinden. Organisiert werden das Netzwerk und die Fortbildungen für die Mitglieder von Prof. Dr. Michael Freitag und seinem Team. Am Department für Versorgungsforschung leitet er die Abteilung Allgemeinmedizin. „Die Hausärztinnen und -ärzte sind begeistert von unseren Studierenden, davon, was sie schon wissen und können, und wie sie mit Patientinnen und Patienten kommunizieren“, sagt Freitag. Studierende lernten, die in der Universität vermittelten Inhalte mit dem echten Leben zu verknüpfen. „Das erhöht die Motivation“, ist Freitag überzeugt.
Ständig sucht er neue Mitglieder für das Netzwerk, um nicht nur das Ausscheiden von Praxen zu kompensieren, die altersbedingt schließen, sondern auch um das Netzwerk zu vergrößern. Schließlich wächst die Zahl der Medizinstudierenden in Oldenburg. Im Wintersemester 22/23 starteten erstmals 120 Studierende, perspektivisch soll diese Zahl auf 200 steigen. Allein in den ersten drei Jahren werden sie vier einwöchige Praktika in Hausarztpraxen machen, dazu kommen zwei Wochen im vierten oder fünften Studienjahr. Studierende, die sich entscheiden, auch einen Teil des Praktischen Jahrs in einer Hausarztpraxis zu verbringen, werden sogar vier Monate lang betreut. „Die Partnerinnen und Partner im Netzwerk sind also elementar wichtig für den Studiengang“, sagt Freitag.
Heute gibt Rike Geiken ihr Wissen an Studierende weiter
Zum ersten Mal stehen die Studierenden aus Oldenburg schon rund zehn Wochen nach Studienbeginn in einer Arztpraxis. „Ich konnte damals gefühlt gerade einmal einige Knochen des menschlichen Körpers korrekt benennen, und trotzdem war die erste Hospitation ein voller Erfolg“, erinnert sich Rike Geiken. Acht Jahre ist diese erste Erfahrung jetzt her. Inzwischen arbeitet sie als Ärztin in Weiterbildung in der Gemeinschaftspraxis für Allgemeinmedizin und Familienmedizin in Esens, einer Praxis, in der sie schon als Praktikantin gestanden hat. „Eine Entscheidung, die ich noch keinen Tag bereut habe“, versichert Geiken. „Mich reizt es, dass ich als Hausärztin besonders enge Arzt-Patienten-Beziehungen aufbauen kann, die oft jahrzehntelang halten.“
Wie dringend Hausärztinnen und Hausärzte wie Markus Ennen und Rike Geiken benötigt werden, zeigen Prognosen der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Demnach braucht der Nordwesten des Bundeslandes mit seinen rund 2,5 Millionen Menschen dringend niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Besonders alarmierend ist die Situation bei den Hausarztpraxen. Rund 1.400 zusätzliche Hausärztinnen und Hausärzte werden bis 2030 benötigt.
Praxis-Ausbildung mit Leidenschaft, Enthusiasmus und Engagement
Für Ennen ist es deshalb wichtig, dass die Primärversorgung das Image bekommt, das sie seiner Meinung nach verdient. „Wir müssen mit breiter Brust die guten Seiten des Berufs zeigen und mit dem Eindruck aufräumen, dass wir Wald- und Wiesenärzte seien“, betont er. „Nur durch das Zusammenspiel von Allgemeinmedizin und Facharztangeboten ist ein gutes medizinisches Angebot vorhanden.“
Auch Rike Geiken hat erlebt, dass aus- und weiterbildende Hausärztinnen und -ärzte Werbung für ihre Profession machen. „Die hausärztlichen Lehrärzte haben uns Studierenden mit Leidenschaft, Enthusiasmus und Engagement die Bedeutung und die Vorteile ihres Berufs verdeutlicht –
natürlich auch mit dem Ziel, zukünftig die Versorgung sicherzustellen.“ Sie hat sich begeistern lassen und arbeitet seit August 2021 in der ostfriesischen Gemeinschaftspraxis. Dort trifft sie auf angehende Medizinerinnen und Mediziner, die in der gleichen Situation sind wie sie selbst vor einigen Jahren. „Ich freue mich, wenn die Studierenden in unsere Praxis kommen und ich ihre Begeisterung für dieses Berufsfeld wecken kann.“