Zahlreiche Menschen in Deutschland haben sich inzwischen mindestens einmal mit COVID-19 infiziert – wie die Krankheit verläuft und ob Betroffene unter neurokognitiven Langzeitfolgen wie Müdigkeit, Aufmerksamkeits- oder Gedächtnisstörungen leiden, unterscheidet sich jedoch gravierend. Die Medizininformatikerin Prof. Dr. Antje Wulff und die Psychologin Prof. Dr. Mandy Roheger, beide von der Universitätsmedizin Oldenburg, wollen jetzt Modelle entwickeln, die prognostizieren können, wie persönliche Merkmale von Betroffenen die Entwicklung von Langzeitfolgen beeinflussen.
Die beiden Wissenschaftlerinnen koordinieren damit eines der beiden Forschungsvorhaben der Universitätsmedizin Oldenburg, die vom COVID-19-Forschungsnetzwerks Niedersachsen (COFONI) mit Mitteln des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums gefördert werden. In einem zweiten Projekt untersucht Versorgungsforscher Prof. Dr. Falk Hoffmann, wie sich psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen während der Pandemie entwickelt haben. Insgesamt fließen für die Durchführung dieser beiden Projekte rund 670.000 Euro nach Oldenburg.
„Mit unserem Forschungsschwerpunkt Versorgungsforschung bündeln wir hier am Standort die Expertise, die für eine detaillierte und umfassende Betrachtung der Pandemie-Langzeitfolgen notwendig ist. Diese Kompetenz bringen wir nun zum Wohl der Patientinnen und Patienten in das COVID-19-Forschungsnetzwerk ein“, sagte Prof. Dr. Hans Gerd Nothwang, Dekan der Fakultät VI Medizin und Gesundheitswissenschaften.
Wulff und Roheger untersuchen gemeinsam mit der Oldenburger Psychologin Prof. Dr. Andrea Hildebrandt und der Soziologin Prof. Dr. Gundula Zoch sowie Wissenschaftlerinnen der Medizinischen Hochschule Hannover detailliert die neurokognitiven Langzeitverläufe von COVID-19 sowie die verschiedenen Einflüsse darauf. Dabei greifen sie auf Daten aus eigenen Studien zurück, aber auch auf Patientendaten aus verschiedenen nationalen und internationalen Datenbanken, die im Verlauf der Pandemie zu Forschungszwecken angelegt wurden.
Neue Daten werden die Forscherinnen ebenfalls erheben und eine App entwickeln, mit der Betroffene an standardisierten Tests teilnehmen können. So lässt sich dokumentieren, wie sich neurokognitive Fähigkeiten unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung Betroffener entwickeln. Mit all diesen Daten trainieren die Forscherinnen Prognose-Modelle, die später anhand von Patientendaten, zum Beispiel Blutwerten oder Hirnscans, vorhersagen können, ob eine Person gefährdet ist, an Langzeitfolgen zu leiden. Weil das Team davon ausgeht, dass auch die persönlichen Lebensumstände – von der Art des Jobs bis zur Anzahl der zu betreuenden Kinder – eine Rolle dafür spielen, wie schnell sich jemand nach einer Infektion erholt, untersucht das Team auch diese Faktoren.
Versorgungsforscher Hoffmann untersucht im Rahmen von COFONI ganz andere Pandemiefolgen. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie sich psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen in Niedersachsen im Laufe der Pandemie entwickelt haben und inwieweit diese Entwicklung von sozioökonomischen Faktoren beeinflusst wird. Betrachtet wird die Häufigkeit von Krankheiten wie depressive Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen, Magersucht und Angststörungen. Außerdem analysiert Hoffmann, welche Facharztgruppen bei der Diagnose und Behandlung beteiligt waren, welche Psychopharmaka zum Einsatz kamen und wie häufig Betroffene stationär aufgenommen werden mussten.
Für seine Arbeit greift Hoffmann, der mit einer Kollegin der Universitätsmedizin Göttingen zusammenarbeitet, unter anderem auf umfangreiche Routinedaten einer Krankenkasse von 2018 bis 2022 zurück. Das Ziel der Forschenden: Sie wollen Empfehlungen formulieren, wie sich die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während einer Pandemie oder einer anderen Krisensituation fördern lässt.
Das Netzwerk COFONI wurde im Oktober 2020 auf Initiative verschiedener Institutionen aus Göttingen und Hannover gegründet. Es soll die niedersächsischen Kompetenzen in der Pandemieforschung zusammenführen. In der aktuellen Förderlinie hat ein neunköpfiges Komitee über die Vergabe von Forschungsmitteln in Höhe von insgesamt 7,5 Millionen Euro entschieden.