Noch haben die Medizinstudentinnen Antonia Matiszick und Alexandra Horst den Uniabschluss nicht in der Tasche. Trotzdem sind sie gerade für eine Teilstation im Klinikum Oldenburg zuständig. Was ist da los?
Wenn es gegen 9 Uhr an den Türen zweier ganz bestimmter Zimmer auf Station E43 zur morgendlichen Visite klopft, wissen die Patientinnen und Patienten, dass es gleich eng wird. Neben dem fahrbaren Visiten-Computer schieben sich mindestens acht Personen ins Zwei-Bett-Zimmer. Zwei von ihnen sind die Medizinstudentinnen Antonia Matiszick und Alexandra Horst, die gerade im Klinikum Oldenburg das letzte Drittel ihres Praktischen Jahrs (PJ) absolvieren. Auch die meisten anderen Teilnehmenden der Visite sind auffallend jung: zwei angehende Pflegefachpersonen, eine Physiotherapieauszubildende und eine junge Frau, die gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert.
Gemeinsam mit ihnen sind Antonia und Alexandra drei Wochen lang für die Abläufe in zwei Zimmern der Universitätsklinik für Innere Medizin und damit für die Behandlung und Versorgung von vier Patientinnen und Patienten zuständig – beinahe allein. Natürlich wird das Nachwuchsteam dabei eng begleitet. Ihnen zur Seite stehen Fachleute, die bereits in den Berufen arbeiten, die die jungen Leute anstreben. Sie haben zuvor eine Praxisbegleitungsschulung absolviert und begleiten auch die Visite.
Konzept stammt aus Skandinavien
Die Übernahme aller Abläufe, die rund um diese beiden Zimmer zu organisieren sind, gehört zum Programm und zur Philosophie von OLIPSTA, der Interprofessionellen Ausbildungsstation am Klinikum Oldenburg. Zum einen sollen dort Auszubildende verschiedener Gesundheitsberufe miteinander und voneinander lernen, zum anderen erfahren sie zum ersten Mal, wie sich der Stationsalltag verändert, wenn sie selbst alle Abläufe organisieren müssen.
Das Ausbildungskonzept habe in Skandinavien eine langjährige Tradition und komme auch an einigen deutschen Standorten bereits zum Einsatz, erklärt Sylke Modersitzki, Lehrerin für Pflegeberufe und eine der OLIPSTA-Organistorinnen. „Für uns und die Region ist der Ansatz aber noch neu.“ Zwei Mal pro Jahr möchte das Klinikum einem Nachwuchsteam künftig die Erfahrung bieten, eine Teilstation selbstständig unter Aufsicht zu leiten.
„In den ersten Tagen waren die Abläufe bei uns noch etwas chaotisch. Aber wir alle hatten von Anfang an eine große Motivation, dass wir das hier gemeinsam hinkriegen“, erinnert sich Antonia an den Start vor eineinhalb Wochen. Sie steht kurz vor dem Ende ihres PJ, das gleichzeitig die letzte Station ihres Medizinstudiums an der Universität Oldenburg markiert.
Und obwohl das Studium dort vom ersten Semester an sehr praxisbetont ist und sie in den vergangenen Jahren zahlreiche Praktika in Praxen und Kliniken absolviert hat, ist die eigenverantwortliche Arbeit auf Station E43 eine besondere Erfahrung für die angehende Ärztin. „In Praktika läuft man häufig mit und packt auch mal mit an, aber hier wird Wert darauf gelegt, dass wir in Eigenregie die anfallenden Aufgaben erledigen“, sagt sie.
Klinikalltag unter Luxusbedingungen
Alexandra Horst nimmt bei einer ihrer beiden Patientinnen gerade Blut ab. „Mal sehen, ob meine Venen heute gut zu finden sind“, sagt die ältere Dame im Bett augenzwinkernd und streckt ihren linken Unterarm aus. Sie ist erst vor Kurzem eingeliefert worden und findet es toll, von einem Team aus jungen Menschen betreut zu werden, die noch ganz am Anfang ihrer Karrieren stehen. „Wer noch nicht glaubt, alles schon zu wissen und gesehen zu haben, hört besonders gut zu“, ist sie überzeugt.
Fast unbemerkt hat Alexandra während des kurzen Gesprächs zwei Röhrchen Blut abgenommen, verabschiedet sich und leitet die Proben weiter ins Labor. Die angehende Ärztin weiß natürlich, dass ihre Zuständigkeit für nur zwei Patientinnen nicht dem Alltag auf Krankenhausstationen entspricht – auch weil sie vor ihrem Studium bereits eine Ausbildung als Gesundheits- und Krankenpflegerin gemacht hat. „Das ist Luxus“, sagt sie über die Zeit, die ihr während OLIPSTA noch für Gespräche mit Patientinnen, Austausch mit Kolleginnen und Kollegen und die zahlreichen Dokumentationsaufgaben zur Verfügung steht.
Jeden Morgen: interprofessionelle Visite
Voneinander und miteinander lernen – wie das aussehen kann, zeigt sich zum Beispiel bei der täglichen interprofessionellen Visite am Patientenbett. Das Nachwuchsteam verfährt dabei strikt nach einem festen Ablauf, bei dem alle Berufsgruppen zunächst ihre Perspektive auf die erkrankte Person mit den anderen und auch mit der Patientin oder dem Patienten teilen. Sie besprechen die aktuelle Situation der Person, also etwa Namen, Alter und Diagnose.
Im nächsten Schritt trägt das Nachwuchsteam Informationen zum Hintergrund zusammen: Welche Vorerkrankungen und Allergien liegen vor? Wie ist die Familiensituation der Person? Nutzt sie einen Rollator oder andere Hilfsmittel? Anschließend folgt die Einschätzung zum aktuellen Stand der Behandlung. Weisen die Vitalzeichen Besonderheiten auf? Wie stark sind die Schmerzen gerade? Funktioniert die Verdauung? Abschließend sprechen die angehenden Ärztinnen, Pflegefachpersonen und die Physiotherapieauszubildende ihre Empfehlungen für die weitere Behandlung aus.
„Dass nicht nur das ärztliche Personal, sondern alle an der Genesung der Patientinnen und Patienten beteiligten Mitarbeitenden teilnehmen, öffnet nicht nur den Blick für die Arbeit der anderen Teammitglieder, sondern sichert auch den Informationsfluss untereinander“, sagt Pflegewissenschaftlerin Nicole Feldmann, die ebenfalls zum OLIPSTA-Team gehört.
Alltag als fertig ausgebildete Ärztinnen steht kurz bevor
Drei Wochen lang können die Medizinstudentinnen Alexandra Host und Antonia Matiszick in ihre künftige Rolle als Ärztinnen schlüpfen. Sie untersuchen ihre Patientinnen und Patienten, organisieren Termine zum Beispiel in der Radiologie, werten Laborberichte aus, stellen Diagnosen, sprechen mit Angehörigen, stimmen sich mit den erfahrenen Kolleginnen und Kollegen ab, dokumentieren ihr Tun und schreiben Entlassungsbriefe.
Nicht mehr lang und die beiden werden das alles – nach ihrer letzten Prüfung – tatsächlich eigenverantwortlich und ohne die wachsamen Augen der Lernbegleitenden tun. Vielleicht sogar im Klinikum. Beide können sich vorstellen, im Haus zu bleiben: Alexandra am liebsten in der Allgemeinmedizin oder der Gastroenterologie und Antonia in der Dermatologie.