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  • Zwei Frauen durchschreiten auf einer Bühne nach oben geklappte Schlagbäume. Im Hintergrund stehen Menschen und applaudieren.

    Melanie Walter, Ministerin für Europa und Regionale Entwicklung in Niedersachsen (l.), und Cora-Yfke Sikkema, Bürgermeisterin von Oldambt, öffneten symbolisch die Grenze zum Startschuss des Projekts Health4DE-NL. Denise Jans

  • Frau spricht am Pult vor Publikum.

    Adriana Pérez Fortis, Koordinatorin des Cross-border Institute of Healthcare Systems and Prevention (CBI), stellte Health4DE-NL vor, das neue Projekt zur Bewältigung grenzüberschreitender Herausforderungen im Gesundheitswesen und zur Stärkung der Zusammenarbeit in den nördlichen deutsch-niederländischen Grenzregionen Denise Jans

  • Viele Menschen stehen in einer Kirche und unterhalten sich.

    Rund 260 Personen aus dem Gesundheitswesen waren der Einladung nach Groningen gefolgt. Denise Jans

  • Fähnchen mit Interreg-Logo und Health4DE-NL-Schriftzug

    Das Interreg-Projekt wird vom CBI, einer gemeinsamen Einrichtung der Universitäten Oldenburg und Groningen, koordiniert. Denise Jans

"Zusammenarbeit ist komplex, aber jede Mühe wert"

Mit zwei symbolischen Schranken, die sich geöffnet haben, ist jetzt das Projekt Health4DE-NL gestartet: Es soll die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen in der deutsch-niederländischen Grenzregion verbessern.

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website der Universität Groningen.
Von Jelle Posthuma

Zwei symbolische Schranken, die in der Martinikirche geöffnet wurden, markierten jetzt den Start von Health4DE-NL, einem Interreg-Projekt zur Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Gesundheitswesen in der deutsch-niederländischen Grenzregion. Koordiniert wird es vom Cross-border Institute of Healthcare Systems and Prevention (CBI), einer gemeinsamen Einrichtung der Universitäten Groningen (Niederlande) und Oldenburg. Die Eröffnung des Projekts fand im Rahmen der Fachtagung über grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung in der DE-NL-Grenzregion statt, die sich mit den europäischen Patientenrechten und den European Reference Networks (ERNs) befasste. Ein Bericht aus der Martinikerk.

Jan Anthonie Bruijn, niederländischer Minister für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport im Übergangskabinett, eröffnete die Veranstaltung mit einer kurzen Videobotschaft. Er begann mit dem niederländischen Sprichwort: „Een goede buur is beter dan een verre vriend“ – auf Deutsch in etwa: „Ein guter Nachbar ist besser als ein ferner Freund.“ Damit unterstrich er die Bedeutung eines starken Verhältnisses zwischen den Nachbarländern Niederlande und Deutschland.

Potenzial

Der Kommissar des Königs in Groningen, René Paas, pflichtete dem in seiner Eröffnungsrede bei. Mit einem humorvollen Verweis zitierte er einen niederländischen Schriftsteller, der die deutsch-niederländische Grenze als „eine der erotischsten Europas“ bezeichnete. Nirgendwo sonst würden Menschen so häufig die Grenze überqueren, um Beziehungen einzugehen, zusammenzuleben oder zu heiraten. Gleichzeitig wies Paas darauf hin, dass die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen große Herausforderungen mit sich bringt. Genau darum gehe es an diesem Tag: Lösungen zu finden.

Nikolaus Jansen, Landesbeauftragter für Regionale Landesentwicklung, begrüßte das Publikum mit einem plattdeutschen „Moin“ und betonte ebenfalls das Potenzial der Zusammenarbeit. Sie könnte zu einer besseren Erreichbarkeit von Gesundheitsleistungen, effizienterer Ressourcennutzung, mehr Wissensaustausch und größerer Krisenfestigkeit führen, wie sich während der COVID-Pandemie gezeigt habe. 

Es folgten eine Grußbotschaft von Sandra Gallina und eine Präsentation von Natalia Zampieri, beide von der Generaldirektion Gesundheit der Europäischen Union. Zampieri erläuterte die zwei rechtlichen Rahmenwerke für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung. Matthias Wismar vom European Observatory on Health Systems and Policies bezeichnete die Kooperation zwischen europäischen Grenzregionen als „No-Brainer“. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die tatsächlichen Zahlen noch sehr gering seien.

Wismar präsentierte bemerkenswerte Daten: Europaweit erhielten lediglich etwa zwei Millionen Patienten pro Jahr ungeplante Behandlungen im Ausland. Das entspricht nur 0,4 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben der EU-Mitgliedstaaten. Die Zahl der Patient*innen, die sich im Ausland geplant behandeln lassen, sei noch geringer. Ein zentrales Hindernis bleibe die mangelhafte Information, so Wismar.

Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Auch Jochen Mierau, Professor für Gesundheitsökonomie, betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit in Grenzregionen. Nicht in den entfernten europäischen Hauptstädten, sondern hier finde die intensivste Kooperation statt. Er erläuterte, dass sowohl das niederländische als auch das deutsche Gesundheitswesen auf dem sogenannten Bismarck-Modell basieren, das auf reguliertem Wettbewerb und einer versicherungsbasierten Finanzierung beruht. Dieser Wettbewerb sei jedoch faktisch eingeschränkt, da die Nachfrage das Angebot deutlich übersteigt.

Gleichzeitig gebe es wichtige nationale Unterschiede, die eine Zusammenarbeit erschweren würden. Sein Rat: mit kleinen Schritten beginnen. Ein völlig neues System für grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu schaffen, sei unrealistisch, aber schrittweise Verbesserungen könnten viel bewirken. Beide Gesundheitssysteme hätten sich schließlich über Jahrzehnte hinweg durch kleine Reformschritte entwickelt.

Solidarität

Lars Schwettmann vom Cross-border Institute of Healthcare Systems and Prevention (Universität Oldenburg) stimmte zu. Er präsentierte eine lange Liste von Reformen des deutschen Gesundheitssystems. Der Begriff „Gesundheitsreform“ habe in Deutschland eine bemerkenswerte Geschichte: 1988 wurde er zum „Wort des Jahres“ gewählt, 1996 sogar zum „Unwort des Jahres“.

Beim Thema Datenaustausch seien große Fortschritte erzielt worden, die neue Möglichkeiten für die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung eröffneten. Trotz zahlreicher Reformen seien fünf Kernelemente des deutschen Gesundheitswesens konstant geblieben: Pflichtmitgliedschaft, beitragsbasierte Finanzierung, Sachleistungsprinzip, Solidarität und Selbstverwaltung. Besonders hoch geschätzt werde in Deutschland der Aspekt der Solidarität.

Information erforderlich

Es folgte eine Podiumsdiskussion. Wismar betonte die Bereitschaft zur Zusammenarbeit: Kooperation zwischen Grenzregionen sei nahezu „natürlich“. Auch Evert Jan van Lente (internationaler Berater für Gesundheitsfinanzierung) verwies auf die Chancen: Grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung könne sogar als Katalysator für andere Formen europäischer Zusammenarbeit dienen.

„Wenn es so viele Möglichkeiten gibt, wo liegen dann die Hindernisse?“, fragte Moderatorin Anne Peetoom. Das Podium nannte systemische Unterschiede, beispielsweise die Rolle des Hausarztes als „Gatekeeper“ in den Niederlanden, während Patienten in Deutschland direkt zum Facharzt gehen können. Auch fehlende Informationen wurden genannt: Patienten zögerten, im Ausland Hilfe zu suchen, wenn unklar sei, ob die Kosten erstattet würden.

Mehrere Beiträge befassten sich zudem mit den European Reference Networks (ERNs). Stefano Vettorazzi (DG SANTE), Emily White (Amsterdam UMC), Greta Ginski (Universitätsklinikum Schleswig-Holstein) und Van Lente erläuterten, wie diese Netzwerke es Fachleuten ermöglichen, Wissen und Expertise zu seltenen und komplexen Krankheiten auszutauschen. VertreterInnen der DG REGIO stellten anschließend das Interreg-Programm als wichtiges Instrument der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit vor. „Heute kann man uns wirklich nicht vorwerfen, dass wir Ihnen zu wenig Informationen gegeben haben“, scherzte Moderatorin Peetoom.

Das Rad nicht neu erfinden

Im Anschluss erfolgte die offizielle Eröffnung des Interreg-Projekts Health4DE-NL. Dies wurde symbolisiert durch das Öffnen zweier Grenzschranken durch Melanie Walter, Ministerin für Europa und Regionale Entwicklung in Niedersachsen, und Cora-Yfke Sikkema, Bürgermeisterin von Oldambt. Adriana Pérez Fortis, Koordinatorin des Cross-border Institute of Healthcare Systems and Prevention (CBI), stellte Health4DE-NL vor, das neue Projekt zur Bewältigung grenzüberschreitender Herausforderungen im Gesundheitswesen und zur Stärkung der Zusammenarbeit in den nördlichen deutsch-niederländischen Grenzregionen.

„Wir erfinden das Rad nicht neu“, sagte Fortis. „Als strategisches Projekt konzentrieren wir uns auf einfache, aber grundlegende Dinge: den Aufbau einer strukturierten, organisierten und nachhaltigen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Gesundheitswesen.“

Den Geist des Tages eingefangen

Am Nachmittag verteilten sich die Teilnehmenden auf verschiedene Workshops. „Was sind die wichtigsten Erkenntnisse?“, fragte Moderatorin Peetoom danach. „Grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist enorm komplex, aber absolut lohnenswert“, antwortete einer der Sitzungsleiter. Sein Schlusswort brachte den Geist des Tages auf den Punkt: Grenzregionen liegen oft am Rand. Gerade für die Menschen dort ist ein guter Zugang zur Gesundheitsversorgung jedoch besonders wichtig.

Aus Oldenburger Sicht war die gemeinsam ausgerichtete Veranstaltung ein Erfolg. Kathrin Boerner, Präventions- und Rehabilitationsforscherin an der Universität Oldenburg, gehört dem Vorstand des CBI an. Sie sagte: „Die Fachtagung war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer starken Gesundheitsversorgung innerhalb der EU.” Mit rund 260 Teilnehmenden sei sie so gut besucht gewesen wie noch keine CBI-Veranstaltung zuvor. „Besonders erfreulich ist, dass hochranginge Politikerinnen und Politiker aus beiden Ländern anwesend waren, die erkannt haben, dass eine enge Kooperation beider Länder maßgeblich für die Entwicklung der Region ist”, sagte sie. Auch seien erstmals Krankenversicherungsvertreter*innen von beiden Seiten der Grenze anwesend gewesen.

Diese Fachtagung wurde von der Europäischen Kommission in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Ministerium für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport (VWS), dem deutschen Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dem Cross-border Institute of Healthcare Systems and Prevention (CBI) sowie mit Unterstützung des Nationalen Kontaktpunkts EU-Patienten.de der DVKA organisiert.

Das Projekt Health4DE-NL wird gefördert durch das Interreg-IV-Programm Deutschland–Niederlande, die Europäische Union, das Niedersächsische Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie die Provinzen Groningen und Fryslân und verfügt über ein Gesamtbudget von 3,2 Millionen Euro.
 

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