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  • Stellt klare Forderungen an die Landespolitik: Dekan Hans Gerd Nothwang.

„Gute gesundheitliche Versorgung als Standortfaktor“

Hans Gerd Nothwang steht seit mehr als sechs Jahren als hauptamtlicher Dekan an der Spitze der Fakultät VI  Medizin und Gesundheitswissenschaften. Jetzt tritt er seine zweite Amtszeit an. Eine Bilanz und ein Blick nach vorne.

Die Fakultät VI Medizin und Gesundheitswissenschaften wird in diesem Jahr zwölf Jahre alt. Prof. Dr. Hans Gerd Nothwang steht seit mehr als sechs Jahren an ihrer Spitze, als einziger hauptamtlicher Dekan der Universität. Jetzt tritt er seine zweite, nunmehr achtjährige Amtszeit an. Eine Bilanz und ein Blick nach vorne.

Herr Nothwang, was hat sich im Laufe Ihrer Amtszeit am deutlichsten verändert?

Die größte Veränderung ist das dynamische Wachstum, das die Fakultät erlebt hat. Rund 40 Professorinnen und Professoren sind berufen worden, seit ich das Amt 2017, zunächst kommissarisch und ein Jahr später hauptamtlich, übernommen habe. Mit insgesamt 70 Professuren und rund 600 Mitarbeitenden sind wir heute die zweitgrößte Fakultät der Universität. Aus den vielen Stimmen einen funktionierenden Klangkörper zu machen, ist eine Herausforderung.

Hinzu kommt die Koordination mit vier Kooperationskrankenhäusern. Wie bringen Sie die verschiedenen Akteurinnen und Akteure zusammen?

Die personelle Kontinuität ist ein wichtiger Faktor, die gab es in den ersten Jahren nicht. Durch die langjährige Zusammenarbeit gewinnt man Vertrauen zueinander, kann Themen offen ansprechen und weiß um die Besonderheiten des jeweiligen Partners. Hinzu kommen viele Gespräche mit den verschiedenen Akteuren. Schließlich eint auch die gemeinsame Verpflichtung gegenüber den Menschen hier im Nordwesten und das gemeinsame Eintreten für den Ausbau der Universitätsmedizin Oldenburg UMO in Reaktion auf das zögerliche Agieren der Landespolitik.

Auf welche Meilensteine während Ihrer Amtszeit sind Sie stolz?

Zuallererst auf die positive Evaluation durch den Wissenschaftsrat (WR) im Jahr 2019, die eine beeindruckende Gemeinschaftsleistung aller Beteiligten am Standort beweist. Sie markiert das Ende der Aufbauphase und die erfolgreiche Entwicklung vom Projekt „European Medical School“ zum vollwertigen Universitätsmedizin-Standort. Außerdem konnten wir die Zahl der Studienplätze in der Humanmedizin von jährlich 40 auf heute 120 erhöhen und weitere Studiengänge im medizinnahen Bereich etablieren.

Die Einrichtung des Modellstudiengangs Humanmedizin war nur möglich, weil die Region dieses Vorhaben stark unterstützt hat. Erfüllt die UMO die Erwartungen an die Medizinerausbildung?

Ja, und ich würde sogar sagen: vollumfänglich. Wir haben einen hervorragenden Studiengang aufgebaut, dessen moderne Lehrmethoden der WR ausdrücklich lobt. Die Qualität der grenzüberschreitenden Ausbildung in Oldenburg und Groningen ist auch bis zur Bundesregierung durchgedrungen, die uns in den kommenden Jahren ebenfalls finanziell mit mehreren Millionen Euro unterstützen will. Am wichtigsten ist aber: Mehr als die Hälfte der Absolventinnen und Absolventen bleibt aktuell nach ihrem Abschluss in der Region und ist hier ärztlich tätig.

Auch die Forschung hat sich weiter ausdifferenziert. Womit wird die UMO national und international wahrgenommen?

Das ist weiterhin natürlich die Hörforschung, deren Know-how in 80 Prozent der Hörgeräte weltweit steckt. Gut sichtbar ist auch die Neurosensorik, die sich thematisch mit dem neuen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Graduiertenkolleg Neuromodulation in Richtung Neurowissenschaften verbreitert. Die Versorgungsforschung ist national sichtbar geworden, etwa als Gastgeber der DFG-Nachwuchsakademie oder mit der Einrichtung des Cross-Border Instituts of Healthcare Systems and Prevention. Auch mit der Forschung zur Notfallversorgung sind wir präsent. Hinzu kommen im klinischen Bereich eine sehr hochwertige Diagnostik und Leuchttürme wie die Präzisionsmedizin bei Lungenkarzinomen oder die Telemedizin. Wir verknüpfen hier also sehr erfolgreich Grundlagenforschung, klinische Forschung und Versorgungsforschung.

Immer wieder gibt es Kritik an der Landespolitik, weil sie die UMO bis heute nicht auf ein solides finanzielles Fundament gestellt hat. Welches Thema beschäftigt Sie bis heute, obwohl Sie bei Dienstantritt dachten, es sei schnell erledigt?

Tatsächlich hätte ich nicht damit gerechnet, dass wir den Ausbau auf 200 Studienplätze auch zwölf Jahre nach Gründung als Thema haben. 2018 hatten wir mit der Politik einen zügigen Aufwuchs und einen entsprechenden Ausbau der dringend notwendigen Infrastruktur vereinbart. Dass wir daran bis heute noch kein Häkchen machen konnten, sagt einiges über das Standing des Nordwestens in der Landespolitik aus. Andere Bundesländer agieren bei der Einrichtung neuer universitätsmedizinischer Standorte wesentlich entschlossener und konsequenter. Immer wieder wird zwar vehement die Bedeutung Oldenburgs als drittem universitätsmedizinischen Standort des Landes Niedersachsen betont. Dennoch müssen wir noch immer um eine angemessene Förderung durch das Land ringen. Dies zeigte sich kürzlich wieder bei der Ausschreibung „Potentiale strategisch entfalten“, bei der wir als Unimedizin nicht antragsberechtigt sind.

Wie geht es in dieser Hinsicht jetzt weiter?

Mit Blick auf die Finanzklausurtagung der Landesregierung im Sommer starten wir erneut eine Kampagne. Wir planen unter anderem eine Unterschriftenaktion, an der sich jeder und jede beteiligen kann, um mit uns für mehr Studienplätze und damit mehr Ärztinnen und Ärzte für die Region zu kämpfen. Als Unterstützer wollen wir auch unsere regionalen Partner in Politik und Wirtschaft gewinnen, schließlich ist eine gute gesundheitliche Versorgung ein entscheidender Standortfaktor für den gesamten Nordwesten. Die Landesregierung muss nun endlich liefern.

Wo steht die UMO am Ende Ihrer aktuellen Dienstzeit, also 2032?

Bis dahin haben wir unsere Vision „Healthcare4all“ umgesetzt und eine Gesundheitsregion Nordwest etabliert, in der eine personalisierte, lebensnahe und teilhabeorientierte Versorgung für alle zugänglich ist. Die Universitätsmedizin-Standorte an den kooperierenden Krankenhäusern sind weiter zusammengewachsen und in der Zusammenarbeit haben wir alle administrativen Hürden überwunden, die uns heute im Alltag noch viel zu viel Kraft kosten. Die benötigten Gebäude sind fertig oder kurz davor und natürlich haben wir endlich 200 Studienplätze in der Humanmedizin. Mindestens.

Interview:  Sonja Niemann